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Gerd sitzt mir gegenueber. Wir starren uns an. Gerd ist nicht gerade gespraechig, aber das ist er eigentlich nie. Aber heute, heute schweigt er nicht nur, er starrt mich an.

Jeden Morgen das gleiche Spiel. Jeden Morgen haben wir diesen Moment, wo wir uns einfach nur anschweigen und oder auch anstarren. Mal hat Gerd nach kurzer Zeit genug oder ich. Dann nach kurzer Zeit beginnt das Spiel, was wir beide nicht moegen. Zumindest rede ich mir ein, das er es auch nicht gut finden kann. Waehrend ich nur genervt bin, wird er panisch. Zumindest interpretiere ich dies so. Zusaetzlich stelle ich mir jeden Morgen die gleiche Frage. Macht er das eigentlich mit Absicht. Vielleicht geniesst er auch nur die Aufmerksamkeit. Oder er vergisst zwischen den gestern und heute was schon so haeufig passiert ist. Waere ich Paedagoge, ich wuerd vielleicht mit ihm darueber diskutieren, das dies der falsche Ort, falsche Moment und definitiv zu frueh ist.

Gut, also das gleiche Spiel wie gestern. Ich stelle das Wasser von der Dusche ab und versuche Gerd davon zu ueberzeugen, das es vielleicht doch besser waere, die Wanne zu verlassen. Also doch ein Anflug von Paedagogik. Er sieht das anders. Er sitzt an seiner Stelle und starrt.

Starrt auf das Wasser, oder auf mich? Den Fakt das wir beide nackt sind ignoriert er. So richtig kann man das nicht sagen ob er starrt oder nicht, sowieso absurd das ich meine dort Augen zu sehen, aber wenn ich genau hinschaue sind da die beiden kleinen Knoepfe.

Wie jeden Morgen gelingt es mir dann nach mehreren Minuten Gerd unbeschadet aus der Wanne zu bekommen. Wie jeden Morgen faengt er, sobald ich mit der Rettungsmission beginne, an auf eigene Faust aus der Wanne fliehen zu wollen und panisch die Steilwand zu erklimmen. Das gelingt nicht, er rutscht immer wieder runter. Auf der Arbeit wurde unsere WG fuer den Fakt, das Gerd nicht aus der Wanne fliehen kann gelobt. “Da ist nicht genug Dreck, da hat er keinen Halt.” Einen Mangel an Dreck haett ich uns nicht attestiert. Warum die reissenden Wassermassen ihn ruhig starren lassen, jedoch meine Rettungsversuche zur Panikattacke fuehren, habe ich auch noch nicht durchschaut.

Mit seinen filigranen sechs Beinen, oder sind es acht, unglaublich, das kann ich - trotz des Spiels jeden Morgen - gar nicht so genau sagen, hat man sofort das Gefuehl man macht ihn gleich kaputt. Aber es sind sechs. Sicherlich.

Wie jeden Morgen setze ich ihn in die andere Ecke des Bades und denke mir noch wie er es wohl binnen eines Tages schafft, so zielstrebig wieder dort hinzuwandern.

Ich sitz im Bad. Wieder ein Morgen und ich denke darueber nach, wie gleich das morgendliche Ritual anfaengt. Schaue zu Gerd rueber. Gerd sitzt mir nicht gegenueber. Wir starren uns deshalb auch nicht an. Gerd fehlt. Ich drehe meinen Kopf nach rechts. Nein, er hat auch nicht das Waschbecken mit der Wanne verwechselt. Auch an der Wand und der Decke kein Gerd.

Ich ertappe mich dabei, das ich mich tatsaechlich frage, wo es wohl Gerd hinverschlagen hat und wiege mich schliesslich dann in dem netten Gedanken, das er aus dem Fenster raus ist um mal einer anderen WG den Morgen zu ritualisieren.